Tag 31, 08. Juli 2023
Angela ist schon früh auf und geht vor mir los. Ich setze mich noch in die Küche und esse meinen Joghurt zusammen mit ein paar Haferflocken, Nüssen und Backpflaumen. Kaffee ist natürlich Fehlanzeige, aber ich gewöhne mich langsam an den Zustand.
Draußen regnet es ein wenig. Der erste Regen seit langem, und schon bald ziehe ich meinen Regen Poncho über.
So früh am Tag mit dem Nebel und Regen im Wald wirkt alles so friedlich. Ich mag den Klang von Regentropfen, wenn sie nach ihrem langen Fall auf die üppige Vegetation treffen, auf große und kleine Blätter, plipp, plopp und plitsch, platsch, wenn sie in Pfützen landen. Und das Moos auf dem Waldboden duftet so frisch.
Leckereien in Montán
In Montán komme ich an einer Scheune vorbei, in der wieder ein Einwohner ein Pilgerbuffet aufgebaut hat, das er durch deren Spenden finanziert. Das ist so eine tolle Idee, also wirklich, wenn ich hier am Jakobsweg wohnen würde, ich würde das ganz genau so machen.
Es gibt eine Sitzgarnitur, und der ganze Garten ist voller Jakobsmuscheln, bemalten Steinen, Schildern mit Sprüchen drauf, tibetische Gebetsflaggen und so weiter, ein tolles Flair.
Der Gastgeber bereitet uns anwesenden Pilgern in seiner Küche einen Milchkaffee zu, während wir uns an Saft, verschiedenen Plätzchen, Pfannkuchen, aufgeschnittenen Tomaten und Avocado, Bananen und Orangen bedienen. Schade, für ein Ei komme ich leider zu spät, der Korb ist leer. Dabei wäre ein Ei jetzt das Tollste.
Ich treffe hier Marion wieder, die Krankenschwester aus Colorado, die mir damals auf dem Weg von Puente La Reina nach Villatuerta die Schafwolle gegen meine Blasen gegeben hat. Sie hat mich sofort wiedererkannt und weiß sogar meinen Namen noch. Ich hingegen muß später in meinen Notizen erst mal nachlesen. Obwohl Marion Deutsche ist, hat sie sich den Amerikanischen Dialekt zu hundert Prozent angewöhnt, und während sie sich einen Keks nach dem anderen in den Mund schiebt und dabei mit mir spricht, möchte ich ihr gerne noch ein paar Tomaten und Pfannkuchen hinterher stopfen, damit sie still ist. Ich versuche sie krampfhaft ins Deutsche zu lenken, indem ich ihr auf Deutsch antworte, aber sie spricht hartnäckig weiter in ihrem Amerikanischen Englisch.
Barbadelo
Mein heutiges Ziel heißt Barbadelo, es liegt direkt hinter Sarria und kurz vor der 100 Kilometer-Marke. Viele Kurzzeitpilger starten in Sarria, weil es die Compostella bereits gibt, wenn man den Jakobsweg nur diese letzten 100 Kilometer gegangen ist. Deshalb wird der Weg ab dort ein anderes Gesicht bekommen, ein mehr kommerzielles, überlaufenes, mit noch mehr Herbergen an fast jeder Ecke. Auch mit der überwiegenden Freundlichkeit der Anwohner soll es dort ein Ende haben, so sagt es jedenfalls mein Pilgerführer.
In Barbadelo bekomme ich ein Bett in einem Achtbettzimmer, das bereits gut belegt ist. Die meisten dösen vor sich hin, die Vorhänge sind zu gezogen, und es ist sehr still. Ich traue mich kaum mein Bett zu machen, so ruhig ist es. Im Zeitlupentempo versuche ich mich deshalb einzurichten und möchte nur kurz auf meinem Handy die Route für morgen einsehen, als ich aus Versehen die Navigation starte und eine Computerstimme mich auf voller Lautstärke dazu motivieren möchte los zu gehen. Wie wild fuchtele ich herum in der Bemühung, die Lautstärke zu drosseln, dabei schmeiße ich mein Handy fast auf den Boden.
»Sorry, sorry, sorry«, sage ich leise, in der Hoffnung niemanden geweckt zu haben, als die Computerstimme erneut loslegt, diesmal mit der Wegbeschreibung. Panisch klemme ich das Handy zwischen meine Beine und möchte im Erdboden versinken, denn sie hört nicht auf zu reden, und der Knopf zum Stummschalten ist tief in meinem Schoß vergraben.
»Sorry, sorry, oh so sorry«, flehe ich, eine junge Pilgerin schräg gegenüber grinst mich mitfühlend an.
Da geht die Tür auf, und ein mir sehr vertrautes Gesicht kommt herein. Ich kann den Typen gar nicht einordnen und muss tatsächlich nach seinen Namen fragen.
»Alex« sagt er, da fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich, mein Lieblingsschotte. Er bezieht mit seinem neuen Pilgerfreund das Stockbett neben mir, und ich freue mich darauf später eventuell mit ihnen zusammensitzen zu können.
Ich springe also unter die Dusche und setze mich anschließend in den Garten. Und wo sind jetzt Alex und sein Freund? Sie sind spurlos verschwunden, ob sie das Dorf erkunden? Niemals. Es ist viel zu heiß, außerdem tun auch deren Füße mit Sicherheit maßlos weh.
Jetzt sitze ich hier und sehne mich nach Gesellschaft von Leuten, die ich bereits kenne und mag, so wie Andrew, Aki, Lukas, Flo oder Angela. Letztere ist heute weiter gelaufen als ich, habe leider vergessen wo sie gelandet ist, aber sie hat mir geschrieben, daß sie eine tolle Herberge gefunden hat mit nur fünf Betten im Zimmer, keine Doppelbetten. Jetzt sitzt sie da mit einem Belgier und trinkt Bier und kriegt es deshalb nicht geregelt für uns beide für morgen ein Bett zu reservieren, sagt sie.
Ich sage, ich sitze hier mit einem Schotten und trinke auch Bier, und deshalb ginge es mir nicht anders. Dabei stimmt da ja gar nicht, es ist nur Wunschdenken. Fast jeder hier ist mit jemandem zusammen, aber ich kriege nicht den Dreh mich irgendwo dazu zu setzen. Und als ich so vor mich hin sinniere, gesellt sich eine aufgetakelte feine Deutsche namens Carolin zu mir. Mitte sechzig würde ich sagen, die erste Frau mit Lidschatten und Make-up, die ich auf dem Jakobsweg sehe. Die Art wie sie spricht und was sie so sagt wirkt naiv auf mich, vielleicht auch arrogant, schusselig, irgendwie verpeilt. Sie sagt, dass sie Maskenbildnerin in Köln war, was zumindest ihr Aussehen erklärt. Als sie hört, daß ich Flugbegleiterin bin, fragt sie mich doch glatt, ob es da denn keine Altersgrenze gäbe. Frechheit.
Da kommen Alex und sein Freund mit nassen Haaren und Handtuch über der Schulter aus der hinteren Ecke vom Garten. Sie waren am Pool! Ich habe gar nicht mehr daran gedacht, dass es hier auch einen Pool gibt, vielleicht sollte ich mich Zukunft doch mal etwas mehr umsehen. Jetzt setzen sie sich an einen anderen Tisch, weit weg von mir und der Aufgetakelten, und da ich nicht unhöflich sein will, bleibe ich wo ich bin, bestelle mir einen gemischten Salat und gehe anschließend ins Bett.
Es juckt und kratzt mich am Bauch und an den Armen. Verflixte Mücken, denke ich …
Strecke: 21,4 km / Schritte: 33839