Tag 15, 22. Juni 2023
Nachts fällt mir ein Ohrstöpsel raus, und ich werde Zeugin, wie Nicola mit seinem Schnarchen einen ganzen Wald absägt.
Als er dann morgens wach wird, ist er nicht weniger laut. Er sitzt auf seinem Bett und singt und geht mir tierisch auf den Geist.
Schnell putze ich mir die Zähne und mache mich ungewaschen auf dem Weg, ich will einfach nur weg hier.
Der Weg beginnt direkt mit einem steilen Aufstieg, und ich überquere einen Hügel namens Matagrande. Es ist so still, überall steht der Frühnebel nach dem Gewitter gestern Abend, die Sonne schafft es noch nicht wirklich durch zu kommen. Hier oben wäre es wunderbar zu zelten. Sollte ich je wieder hier her kommen mit meinem Zelt und kein Gewitter in Sicht, möchte ich hier mein Zelt aufschlagen.
Die Kornfelder säumt roter Klatschmohn, links und rechts singen die Lerchen, und auch die Nachtigall ist wieder da. Ich möchte ewig so weiter laufen, wenn ich doch nur einen Kaffee bekommen könnte.
Kurz vor Gardeñela Riopico erkenne ich in der Ferne ein Polizeiauto und zwei Polizisten, die etwas aufschreiben. Direkt neben ihnen ist auch ein hoher Baum. Sofort muß ich an Holly denken und stelle mir vor, wie sie vom Blitz getroffen wurde und die Polizisten jetzt noch da sind um letzte Notizen zu machen, nachdem der Leichnam schon weggebracht wurde.
Manchmal geht die Fantasie mit mir durch.
Hinter mir läuft eine Deutsche, die ich gestern Abend in der Küche der Herberge kennen gelernt habe, als ich meine Paella aufgewärmt habe. Wir setzen uns zusammen am Ortseingang in einer Bar, wo sie mir ein paar ihrer Haferflocken gibt, damit ich endlich mal aufs Klo kann. Mittlerweile ist Tag acht ohne Erfolg. Vor drei Tagen konnte ich, nunja, wie soll ich es ausdrücken, ansatzweise ‚was machen‘. Schon mal gesehen was eine Ziege fabriziert? So in etwa.
Am Tisch neben uns sitzen plötzlich viele bekannte Gesichter, die ich in den letzten Tagen auf dem Trail getroffen habe. Verrückt, wie sich einige Wege immer wieder kreuzen. Da sehe ich auch die beiden Französinnen mit ihrem Anhang, dem schnarchenden Nicola. Die Deutsche, sie nennt sich übrigens Sathya, erzählt mir, daß die beiden Französinnen den Nicola irgendwo aufgegabelt haben und sie seitdem ständig zusammen gehen. Er würde die Damen massieren und so weiter, aber abgesehen davon kann Sathya sich auch nicht vorstellen, was die beiden an ihm finden, zumal der Altersunterschied doch recht groß ist. Er ist mindestens zwanzig Jahre jünger als die beiden.
Sathya geht schon mal weiter in Richtung Burgos, und ich versuche noch mal für kleine Ziegen. Ergebnis: Kein Kommentar. Hoffentlich werden die Haferflocken helfen.
Die Sonne kommt raus, und ich mache mich wieder auf den Weg.
Meinen Füßen geht es relativ gut, dennoch brauchen sie eine Pause. Bereits gestern Abend habe ich mir vorgenommen in Burgos einen Ruhetag einzulegen und deshalb ein Hotelzimmer für zwei Nächte gebucht. In der Stadt ist auch eine Decathlon Filiale, in der ich gedenke mir ein paar Trail Running Schuhe zu kaufen, solche, wie viele andere sie hier auf dem Jakobsweg haben.
Hinter Orbaneja Riopico entscheide ich mich für die Alternativroute, die entlang des Flughafens von Burgos verläuft. Der Hauptweg über Villafría führt nämlich lange an einer Hauptstraße entlang, und darauf habe ich keine Lust.
Wie eine lange dünne Säule steht auf einmal Sathya in ihrem schwarzen Wanderrock mitten auf dem Weg, als sie die Route auf ihrem Handy checkt. Sie freut sich sehr, als ich hinter ihr auftauche, und das erste Mal auf dieser ganzen Tour bin ich fast den ganzen Rest zum nächsten Etappenziel mit jemand anders zusammen gelaufen. Es passt einfach zwischen uns, wir haben sogar nebeneinander auf dem Wegrand gepinkelt. Nur das letzte Stück gehen wir wieder getrennt.
Leider ist Sathyas Weg in Burgos zu Ende, sie wird ihn ein anderes Mal zu Ende gehen. Ich glaube, aus uns hätten echte Freunde werden können.
Ich finde ein kleines Café in der Nähe eines Brunnens in der Stadt und bestelle mir ein Pilgermenü für zwölf Euro. Diese Combo besteht wieder aus einer dünnen Scheibe Rindfleisch, einer Handvoll Pommes und einem knackigen Salat. Es ist nicht viel, aber der Geschmack ist absolut bombastisch. Ich genieße das Essen sehr, und es ist auch gut, dass es nicht so viel ist, so kann ich heute Abend noch mal was essen.
Mein Hotel ist eigentlich ein Universitäts-Campus, das in der Zeit, in der es nicht von Studenten bewohnt wird, als Hotel vermietet wird. Mein Zimmer ist groß und hell, ich bin positiv überrascht. Allerdings ist es auch sehr einfach eingerichtet, noch nicht mal Seife gibt es. Aber ich habe Handtücher, ein riesiges Bett und einen Fernseher. Das Bad müffelt leider arg nach Kloake, so daß ich unbedingt die Badezimmertür zu lassen muß.
Siesta ist immer von zwei bis fünf Uhr nachmittags, dann sind alle Geschäfte und die meisten Restaurants und Bars in Spanien geschlossen.
Nachdem ich meine eigene Siesta beendet und ein paar Sachen gewaschen habe, mache ich mich um fünf Uhr auf den Weg in die Stadt. Ich brauche von meinem Hotel aus nur über die Brücke zu gehen und bin eigentlich schon mittendrin.
In der Kathedrale stemple ich selber meinen Pilgerpass und laufe anschließend etwas ziellos durch die Gegend. So richtig haut mich das alles nicht um hier, und wieder fühle ich mich in dieser Stadt etwas einsam.
Als ich gerade aus einem Souvenir Geschäft komme, steht da Angela eisschleckend vor mir am Ausgang und begrüßt mich. Ich freue mich über ein bekanntes Gesicht und noch dazu über sie persönlich. Wir setzen uns in ein Café, bestellten jeweils einen Gin & Tonic und ein Sangria und reden und reden. Es ist eine schöne Atmosphäre, so daß wir noch ein zweites Getränk bestellen und anschließend sogar zusammen essen gehen. Irgendwie hab ich aber schon wieder gar nicht so wirklich Hunger und esse von allem nur ein bisschen.
Zurück im Hotel bin ich erschöpft und schaffe es noch nicht einmal mehr ein Film zu gucken, obwohl ich das jetzt richtig auskosten könnte hier in meinem privaten Zimmer. Außerdem ist dieses große schöne Bett viel zu verlockend.
Strecke: 20,3 km / Schritte: 37035