Los Arcos – Logroño

Tag 10, 17. Juni 2023

Schon wieder ist um halb fünf die Nacht für mich zu Ende, weil die meisten anderen im Raum angefangen haben zu packen und dementsprechend laut sind. Es ist noch stockdunkel, als ich los gehe und hauptsächlich dem Lichtkegel der Kopflampen der Pilger vor mir folge. Gelbe Pfeile sehe ich natürlich keine, bis um zwanzig vor sieben die Sonne aufgeht.

Der Weg ist eben und angenehm zu gehen, es gibt nur wenige Anstiege.
Unmittelbar vor dem Ort Sansol sehe ich jemanden, der aus einem Zelt krabbelt, das mitten auf einem Acker steht, einsichtig für alle Anwohner und vorbeikommenden Leute. Der hat Nerven, ich wünschte, ich könnte das auch. 

Morgens früh in Los Arcos
Weg nach Sansol


Ansonsten passiert gar nicht viel Spektakuläres unterwegs. Ab und zu sehe ich ein paar bekannte Gesichter sowie neue. Ein Typ namens Holger spricht mich an, und ich finde es angenehm mal wieder Deutsch zu sprechen. Weniger angenehm ist der Moment, als er mir seine schweißgetränkte Hand entgegenstreckt. Bah, wie ekelig, wo ich doch so gerne saubere Hände habe! Wo bitte ist der nächste Brunnen? 
Apropos Brunnen, es gibt sie überall entlang des Weges und in jedem Ort. Sie stammen aus verschiedenen Quellen, einige von ihnen sind historisch bedeutsam, wie zum Beispiel die Rolandsquelle in den Pyrenäen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Brunnen für die Jakobspilger von Gemeinden und Organisationen errichtet. Die meisten führen Trinkwasser, aber es gibt auch solche, von denen man besser nicht trinkt. Diese sind in der Regel mit entsprechenden Piktogrammen markiert.

In einem kleinen Dorf mache ich Rast auf einer Bank und vergesse hier meinen Pilgerstab. Ich bemerke es schnell, denn ich fühle mich auf einmal so leicht und frei in den Händen. Ich entscheide mich deshalb dafür nicht umzukehren und ihn zu holen, irgendjemand wird sich schon darüber freuen.

Der Ort Viana, gegründet im Jahr 1219

Kurz vor Logroño verlasse ich Navarra und bin jetzt in La Rioja. Die Gegend ist wunderschön, der Weg führt direkt durch das Weinbaugebiet. Hier bekomme ich den wohl berühmtesten Pilgerstempel auf dem ganzen Camino, und zwar den von der Camino Legende Maria Mediavilla, die bis vor kurzem noch jeden Tag unter dem Feigenbaum vor ihrem Haus saß und die Pilger gezählt hat, die dort vorbei gekommen sind. Sie hatte die Aufgabe von ihrer verstorbenen Mutter Dona Felisa übernommen, die zwanzig Jahre lang sowas wie die Pförtnerin und die liebevolle Seele des Camino war. Letztes Jahr ist Maria gestorben, seltsamerweise auch nach zwanzig Jahren. Auf dem Stempel steht immernoch „FELISA Higos-Agua y Amor“ / FELISA Feigen, Wasser und Liebe.
Ein sehr interessanter und lesenswerter Bericht stand über María und ihre Mutter mal im ‚Spiegel‘. Zwar ist der Artikel von 2009, aber das macht nichts. Habe ihn > hier < verlinkt.
Heute gibt mir ein Mann den Stempel, keine Ahnung wer er ist, möglicherweise Marias Sohn.

In der Mittagshitze komme ich um halb zwei in Logroño an. Es droht zu gewittern, also kann ich das Zelten wieder mal vergessen, denn vor Gewitter habe ich Angst. Ich checke in einer städtische Herberge ein, die Santiago El Real, die durch freiwillige Spenden finanziert wird. Hier bekomme ich heute richtige Stofflaken, und weil ich früh dran bin, kann ich mir nach einem endlosen Monolog der Herbergsmutter über Gebets- und Essenszeiten sowie über die Einrichtung und der Schliesszeiten in einem Achtzehn Betten Saal ein Bett aussuchen.

Ich schnappe mir direkt mein Duschzeug und stelle mich in die Reihe. Leider gibt es nur zwei Duschen, und jetzt ist definitiv rush-hour. Ausnahmslos jeder will sich jetzt den Dreck und Schweiß abwaschen und sich abkühlen. Und ausgerechnet hier, wo der nächste schon vor der Duschtür steht und mit den Hufen scharrt, fällt es mir wieder so schwer mich zu organisieren. Auf engstem Raum und wo bereits alles nass ist, sind so gut wie keine Aufhängemöglichkeiten. Wohin mit meinen alten Sachen? Wohin mit meinen frischen? Übrigens wünschte ich, ich hätte ein richtiges Handtuch, oder wenigstens ein größeres Stück Stoff als das, was ich zum Abtrocknen habe, und das ist ein lächerlicher Waschlappen. Ich bin nie richtig trocken, wenn ich mich wieder anziehe. Manchmal kriege ich meine Sachen gar nicht über die Haut gezogen.

Nachdem ich ein paar Sachen gewaschen und im Hof aufgehängt habe, gehe ich dahin, wo ich sonst nie hin gehe, es aber tun würde, wenn das Zeug nicht so fies wäre, nämlich zu Burger King! Seit gestern freue ich mich wie verrückt auf einen Whopper mit Pommes! Nur bei dem Gedanken fange ich schon an zu sabbern, und als es dann soweit ist und ich in den Burger hinein beiße, die Sauce mir am Kinn runter läuft und ich die noch vorhandenen Lücken in meinem Mund mit den salzigen, knusprigen Pommes ausstopfe, habe ich dem Land Spanien all seine Tapas und Pintxos und Tortillas und Bocadillos auf dem bisherigen Weg verziehen.

Anschließend liege ich satt und faul auf meinem Bett und genieße die Atmosphäre, während draußen ein heftiges Gewitter tobt. So erschöpft wie ich bin, ist es richtig gemütlich, ich bin froh nicht in meinem Zelt zu liegen. Hier habe ich Internet, mein Handy Akku ist voll, meine brennenden Füße erholen sich, und ich weiß, ich muss mich heute nicht mehr bewegen. Werde ich auch nicht. Um sieben Uhr soll eine Pilgermesse stattfinden, und so gerne ich auch gehen würde, aber nein.

Strecke: 28,2 km / Schritte: 45984

Ich freue mich über ein paar Worte